Isaac Bashevis Singer (2024)

Isaak Bashevis Singer

Ich hatte schon öfter daran gedacht, über mich selbst zu schreiben, so wie ich wirklich bin aber ich war davon überzeugt, daß mich die Leser, die Verleger und die Kritiker( im besonderen die jiddischen) für einen p*rnographischen Schriftsteller halten würden, einen Aufschneider, kurz, für verrückt.“

Einleitung
Als „ Fiktion vor einem Hintergrund von Wahrheit“ betrachtete Isaac Bashevis Singer, der 1978 den Nobelpreis für Literatur verliehen bekam, seinen autobiographisch gefärbten Roman „Verloren in Amerika“.
Seine Erzählung wurde 1976 erstmals in New York in jiddischer Originalversion und als englische Ausgabe veröffentlicht.
„Verloren in Amerika“ unterteilt sich in drei Abschnitte, die auch verschiedene Lebensetappen kennzeichnen. Kindheit und Jugendzeit schildert der Ich-Erzähler unter dem Titel „ Ein kleiner Junge auf der Suche nach Gott“. Die Sturm und Drang-Zeit des jungen Mannes und Schriftstellers spielt sich im Teil „Ein junger Mann auf der Suche nach Liebe“ ab. Über den Weggang aus seiner Heimat nach Amerika und das Leben im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ berichtet der Abschnitt „ Verloren in Amerika“. Dieser letzte Teil des Romans verleiht ihm gleichsam seinen Titel, auf Grund der verstärkt zum Ausdruck kommenden allgemeinen Vereinsamung und Orientierungsschwierigkeit der Hauptperson des Buches, Isaac Bashevis Singer selbst, die sein Leben prägt.

Inhaltsangabe
Isaac, die schüchterne Hauptperson, wächst in Polens Hauptstadt Warschau am Anfang unseres Jahrhunderts auf. Er entstammt einer Familie von Rabbinern, Chassidim und Kabbalisten. Seine Eltern sind arm, Hunger ist ein ständiger Begleiter. Isaacs Kindheit ist geprägt von dem Konflikt zwischen Religiösität und weltlichen Erklärungen. Sein Vater ist ein frommer Jude, der den aufklärerisch-philosophischen und an der Wissenschaft orientierten Einfluss des ältesten Sohnes Josua widerwillig duldet. Isaacs Mutter hingegen zeigt sich offen für empirische Wahrheiten und ist in der Mystik bewandert.

Bald schon beginnt Isaac selbst begierig und unnachgiebig nach der rechten Wahrheit zu suchen. Sein Wissens- und Lesedrang verdrängt jedweden Hunger oder die Furcht, vom Vater beim Forschen entdeckt zu werden. Er erkennt, daß Gott auch Leid schuf und beginnt an dessen Göttlichkeit zu zweifeln.

Woher kommt die Welt? Wer schuf die Menschen? Warum gibt es Leid? Warum lässt Gott dieses zu? Nicht einmal Philosophen, wie der von ihm geehrte Gotteszweifler Spinoza, können Isaac darauf antworten. Eine absolute Wahrheit existiert nicht, erkennt er, seine Suche aber endet nicht. 1923 erhält er eine Anstellung als Korrekteur bei der Warschauer Zeitschrift „ Literarische Blätter“. Isaac lebt arm, krank und hungrig. Er als „hungriger Edelmann“ bittet nicht um Hilfe, vor allem nicht seinen Bruder. Er sehnt sich nach einer Geliebten, da ihn die Frauen anziehen und die Kabbala selbst die Vereinigung von Mann und Frau als göttlich betrachtet. Vor der Kälte findet er in Schriftsteller–Klubs und Bibliotheken Zuflucht. Isaac schließt eine enge Freundschaft zu dem religiös–mystischem Dichter Aaron Zeitlin und beginnt sich mit Parapsychologie zu befassen.

Auf der Suche nach einem billigen Zimmer lernt er die beinahe 20 Jahre ältere Spiritistin Gina Halbstark kennen. Sie wird seine erste Geliebte und Vertraute. Gina scheint von Friedhöfen besessen zu sein und frisst ihn letztendlich mit ihrer Liebe auf.
Um dem Einzug zum Militär zu entgehen, beginnt Singers Held zu hungern, was ihm den einjährigen Aufschub verschafft. Er entschließt sich wie Josua jiddischer Schriftsteller zu werden und eine „Umwertung aller Werte“ vorzunehmen.

Gina entwickelt sich zunehmend zur kontrollierenden „Ehefrau“, die den jungen Mann mit ihrer Gier nach Liebe und Sex überanstrengt. Isaac braucht mehr Zurückgezogenheit und sucht sich eine neue Bleibe, was Gina das Herz bricht. Sie wird zur gleichgültigen Einsiedlerin und stirbt nach einiger Zeit. Als erneut der Militäreinzug droht und die Lage für polnische Juden unerträglicher wird, befasst sich Isaac mit dem Gedanken nach Erez Israel auszuwandern. Er macht Bekanntschaft mit Penna Stefa, die ihrem Liebsten nachreisen will und schwanger ist. Die Ausreisepapiere erhält sie nur bei Heirat, für die Isaac in Frage kommt. Letztlich findet die Vermählung nicht statt, weil sich Stefa zur Heirat mit einem reichen alten Kaufmann entschließt. Das Zielland der Ausreise wird Amerika, wohin bereits Josua mit Familie emigrierte. Die langsame Bürokratie allerdings hindert Isaac.

Die 30-er Jahre sind angebrochen. Der junge Literat ist verzweifelt und süchtig nach Spannung. Er gilt noch immer als Bruder des Schriftstellers Josua Singer, worunter er leidet. Literatur muss für ihn die Zeit beschreiben und den Lebenshunger widerspiegeln können. Er will mit seinen Arbeiten die Welt nicht verbessern. Liebe und Literatur sind seine einzigen Idole. Für seinen Roman „Satan in Goraj“ bekommt er großes Lob.
Vielerlei Liebschaften und einen Sommer mit der lesbisch–mannhaften Trotzkistin Lena, die von ihm schwanger wird, verlebt Isaac, der „schüchterne Abenteurer“, vor seiner Abreise gen Amerika im April 1935. Auf seinem Weg Richtung Westen durchquert er Deutschland, das „Land der Inquisition“, und macht an Bord seines Überfahrtsschiffs Bekanntschaft mit der Warschauerin Zosia.

Die beiden freunden sich an, werden einander vertraut und Isaac löst sich aus der Einsamkeit des Überfahrers. Während der Seereise beschließt er zudem Vegetarier zu werden.
Amerika empfängt ihn überströmend - laut. Die Familie seines Bruders leidet noch immer unter dem Tod des ältesten Sohnes. Singers Hauptfigur fühlt sich fremd und verloren, Heimaterinnerungen übermächtigen ihn. Seine jüdische Abgegrenztheit wird ihm bewusster denn je.

Der „Jewish Daily Forward“, bei dem Josua arbeitet, bietet ihm eine Anstellung an. Isaacs Arbeit an einem Fortsetzungsroman kommt bald ins Stocken und Josua stellt seinen Bruder vor diese Tatsache, der er versucht zu entfliehen. Daraufhin liefert unsere Hauptfigur seine Berichte nur noch spätabends ab. Zudem steht die Ausweisung kurz bevor, da das Visum nicht verlängert wird. Nur eine Reise nach Kanada kann die benötigten Papiere beschaffen.

Zosia begleitet Isaac nach Toronto. Der Coup glückt und beide feiern. Da die geplante Entjungferung Zosias nicht gelingt, breitet sich Entfremdung zwischen beiden aus.
Noch immer plagt den einfach und ärmlich hausenden Schriftsteller die Suche nach der Zauberformel zur Lösung der Rätsel dieser Welt. Er lebt einsam, abgegrenzt von der Gesellschaft mit Büchern dahin. Zwar verschafft ihm das Arbeiten als Co-Regisseur eines Theaterstücks kurzzeitig Geselligkeit und die Verehrung der Jiddischisten, bald aber fällt er in Melancholie zurück. Isaac ist faul, des Lebens müde und grübelt. Als ihn ein Telegramm Lenas erreicht, die ihn darin zur Alimentenzahlung für den gemeinsamen Sohn auffordert, durchdringt ihn der Gedanke mit dem Singers Roman gleichzeitig endet: „Ich bin verloren in Amerika, verloren auf immer.“

Singers Stil
„Verloren in Amerika“ zeugt von Klarheit, da zumeist einfach Sätze das Seitenbild bestimmen. Die Unterteilung in Kapitel erhöht zudem die Anschaulichkeit und gibt Zeit zum Verarbeiten und Verschnaufen. Singer beschreibt Menschen, abstrakte Erklärungen und Denkweisen eindrücklich sowie verständlich und schafft somit die Spannung, nach der ebenfalls seine Hauptfigur giert. Durch den verwendeten Ich–Erzähler bekommt der Leser engeren Bezug zur Handlung und seinen Gedanken. Das Buch ist durchzogen von Verweisen auf andere jiddische Literatur, z.B. von Perez und Scholem Aleichem. Einhergehend mit der selbstverständlichen Verwendung religiöser und jüdischer Begrifflichkeiten erfordern diese eine gewisse Vertrautheit mit dem Judentum. Hat man diese, so strahlt „Verloren in Amerika“ Anziehungskraft und Harmonie aus.

Prägende Themen des Buches
Liebe und Sexualität spielen für die Hauptfigur Singers eine große Rolle, für ihn als Mann, Liebeshungrigen und für ihn als Schriftsteller. Er will es anders machen – seinen Trieben beinahe freien Lauf lassen und die jiddische Literatur enthemmen. „Über Liebe zu schreiben und Sex auszuklammern, ist ein sinnloses Unterfangen.“
Er erkennt, daß ein Schriftsteller nur über das gut schreiben kann, was er gut kennt. Drei Kriterien stellt er für seine literarischen Arbeiten auf:
1. Sie müssen eine spannende und genaue Handlung haben.
2. Der Autor muss den leidenschaftlichen Wunsch haben, diese Werk zu schreiben.
3. Der Verfasser muss denken, der einzige sein zu können, der dieses besondere Thema behandeln kann.
Deutlich zu erkennen ist ebenso Isaacs innerer Konflikt zwischen dem Glauben an Gott und dem Unglauben an ihn. Sein Elternhaus gab ihm Religiösität mit, doch Gott fehlt es nach seiner Einschätzung am allgegenwärtig Guten. Das alte, traditionelle steht dem neuen, ungehemmt – exzentrischen gegenüber. Die Wissenschaft stellt zudem die Schöpfung in Frage und auch die Philosophie und Parapsychologie tragen zum Zweifeln Isaacs bei.

„Daß ich diesen Glauben nicht besitze, das ist die Geschichte, die ich hier erzählen will.“ Die politischen Hintergründe spielen in das Geschehen stets mit hinein und so lernt man viel über die polnische Landesgeschichte und die Rolle der Juden darin, über den russischen Konflikt zwischen den Marxistischen Splittergruppen und über die Gräueltaten Hitlers, Stalins, Mussolinis und Chmielnizkys.
In engem Zusammenhang damit steht die Judenverfolgung, der eigene Selbstwert Isaacs und die Anpassung der Juden an neue Lebensumstände. Singer fragt eindringlich nach den Gründen für all den Judenhass und will doch nur Frieden, endlich Ruhe. „Ich träumte von einem Stern, auf dem man das Wort „Jude“ noch nie gehört hat. Welche böse Tat haben die Juden vollbracht, daß man sich ihrer schämen muß?“

Meine Meinung „ Verloren in Amerika“ las ich in sehr kurzer Zeit, auch weil es mich ansprach und zeitweise regelrecht fesselte. Es weist Qualitäten auf, die ich persönlich an Büchern schätze; eine Vielfalt an verschiedenen Entwicklungen – Philosophisches, Persönlichkeitsentfaltendes, Beziehungsbetreffendes.
Isaac legt dem Leser seine Liebesbeziehungen dar. Er sagt wortwörtlich, daß körperliche Beziehungen mehr über eine Liebespartnerschaft aussagt als angenommen. Das Verhältnis zu seinen Brüdern und seinen Eltern lässt sich deutlich umreißen und auch sein Verhältnis zu sich selbst blitzt indirekt bzw. zwischen den Zeilen hervor.
Die ihn beschäftigenden grundlegenden Fragen des Universums sp*rnten auch mich zu neuen Betrachtungsweisen an. Ich bin nicht gottgläubig, teile aber Isaacs Verehrung für Literatur und betrachte die Liebe als Hauptantrieb meines Lebens. Mit Spinoza habe ich mich noch nicht ausführlich beschäftigt, habe jedoch durch die Augen eines Zweiflers schauen können und verstanden.

Mit der Person Isaac Bashevis Singers kann ich mich eng identifizieren. Ich teile den Vorzug des Vegetarierdaseins, aus der ähnlichen „ Ehrfurcht vor dem Leben“ heraus. Zudem möchte auch ich mit meinen journalistischen Versuchen nicht mehr belehren, sondern aus der Sicht eines Kenners schildern. Während meines einjährigen Aufenthaltes in den USA bemerkte auch ich viel Negatives. So fiel mir beim Lesen auf, dass mit zunehmender Eingliederung im Westen auch die Bedeutung des Essens, des Kaffees und der Cafeterias zunahm, obgleich ein Schriftsteller doch nicht fürs Essen lebt. Vielleicht hat ihn der volle Magen beim Schreiben blockiert.
Schade fand ich, dass Singer nicht zu viel von sich preisgibt, obgleich ich ihm Privatsphäre zugestehe. Teilweise erschien mir der Charakter Isaacs zu flach, sein Sich–selbst– Kennenlernen stagnierte bzw. konnte nur weitergedacht werden durch den Verlauf der Handlung. Ich hätte mir noch mehr gewünscht, obwohl dies schwer umzusetzen sein mag.

Zum Ende hin entstanden auch große Lücken das Geschehen betreffend. Es passiert nicht täglich dasselbe. Entwicklungen, wenn auch eventuell äußerlich nicht sichtbar, gehen von- statten. Schade, doch vielleicht wollte Singer die nähere Vergangenheit für sich behalten, deshalb fand in diesem sehr eng an sein Leben angelegten Werk seine Frau wohl auch keine Erwähnung. Nun gut, ihm steht es zu, sich zu bewahren. Zusammenfassend möchte ich „ Verloren in Amerika“ als sehr lesenswert einstufen. Man bekommt ein ausgeprägteres Verständnis für Jüdischkeit, das Leben Singers und sich selbst. Dieses Buch treibt einen voran, wenn man sich auf die nicht direkt geäußerten Fragen einlässt und genau das macht ein gutes Buch aus.

verfasst von Juliane H.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 1999/2000

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Author: Reed Wilderman

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Name: Reed Wilderman

Birthday: 1992-06-14

Address: 998 Estell Village, Lake Oscarberg, SD 48713-6877

Phone: +21813267449721

Job: Technology Engineer

Hobby: Swimming, Do it yourself, Beekeeping, Lapidary, Cosplaying, Hiking, Graffiti

Introduction: My name is Reed Wilderman, I am a faithful, bright, lucky, adventurous, lively, rich, vast person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.